Wenn ein Sachverständiger mit einem Privatgutachten beauftragt wird, ist die Vereinbarung eines angemessenen Vorschusses nicht nur üblich, sondern auch sachlich und rechtlich geboten. Dies hat mehrere wichtige Gründe – der wohl entscheidendste: Nur durch eine Vorschusszahlung kann die Objektivität und Unabhängigkeit des Sachverständigen gewährleistet werden.
1. Schutz der Unabhängigkeit und Neutralität
Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige ist verpflichtet, unparteiisch, objektiv und ausschließlich nach bestem Wissen und Gewissen zu arbeiten. Dieser Anspruch darf durch keine wirtschaftlichen Interessen oder Erwartungen des Auftraggebers unterlaufen werden.
Würde der Sachverständige auf das Honorar erst nach Abgabe seines Gutachtens hoffen müssen – und dieses möglicherweise nur dann erhalten, wenn das Ergebnis den Erwartungen des Auftraggebers entspricht –, entstünde ein gefährlicher Interessenkonflikt. Der Sachverständige könnte sich gezwungen sehen, ein Gefälligkeitsgutachten zu erstellen, um die Zahlung nicht zu gefährden. Das wäre gesetzlich unzulässig, ein Verstoß gegen den geleisteten Eid und ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit des gesamten Sachverständigenwesens.
Nur durch eine Vorauszahlung wird klargestellt, dass der Auftraggeber die fachlich fundierte Einschätzung bezahlt – unabhängig davon, ob diese seinen Vorstellungen entspricht oder nicht.
2. Geistige Leistung ist nicht rückholbar
Ein Gutachten ist eine individuelle, hochqualifizierte geistige Leistung. Sie lässt sich – anders als ein Produkt – nicht „zurückgeben“. Hat der Sachverständige seine Erkenntnisse einmal dokumentiert, kann er nicht einfach vom Auftrag zurücktreten oder sein Gutachten zurückverlangen, falls der Auftraggeber nicht zahlt.
3. Verhinderung wirtschaftlicher Abhängigkeit
Der Vorschuss schützt den Sachverständigen vor dem Risiko, seine Arbeit unbezahlt leisten zu müssen. Denn bei Privatgutachten besteht keine gerichtliche Absicherung, wie sie etwa im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) bei Gerichtsgutachten vorgesehen ist . Die gesamte Verantwortung für die Bezahlung liegt beim Auftraggeber.
4. Rechtlich und wirtschaftlich abgesichert
Die Forderung eines Vorschusses ist rechtlich zulässig und wirtschaftlich notwendig – sie stellt sicher, dass der Sachverständige seine Tätigkeit mit der nötigen Sorgfalt und Konzentration ausführen kann, ohne unter finanziellen Druck zu geraten oder sich abhängig zu fühlen. Sie ist Ausdruck professioneller Arbeitsweise und wird in der Praxis flächendeckend angewandt .
Fazit:
Eine Vorschusszahlung ist nicht Ausdruck von Misstrauen, sondern Grundlage für eine unabhängige und neutrale Begutachtung. Sie schützt den Sachverständigen vor wirtschaftlichen Zwängen – und den Auftraggeber vor Gefälligkeitsaussagen. Wer ein objektives Gutachten wünscht, muss es auch objektiv bezahlen – und zwar vor der Beurteilung, nicht danach.